Allgemeines

Für die Plenarveranstaltungen ist keine gesonderte Anmeldung erforderlich.

Die Teilnahme steht allen Kongressteilnehmern offen und ist durch die Grundgebühr abgedeckt.

Die Plenarvorträge werden, wie auch der Abendvortrag und die durchlaufenden Vorlesungen, im Hybridmodus angeboten.

MD Tobias Nolte

Vertrauen schaffen in der Psychotherapie – das Konzept des Epistemischen Vertrauens

Datum: Samstag, 9. September, 08.30 Uhr
Teilnahmemöglichkeiten: Präsenz oder online

In diesem Vortrag wird Epistemisches Vertrauen konzeptuell eingeführt und die empirische Forschung dazu vorgestellt. Epistemisches Vertrauen, eine Errungenschaft von frühen sicheren Beziehungserfahrungen, ist das basale Vertrauen in eine Person als sichere Informationsquelle.
Das Konzept des Epistemischen Vertrauens ist das zentrale Charakteristikum für die Beziehungsarbeit und Veränderungsprozesse in der Mentalisierungsbasierten Therapie, findet aber darüber hinaus auch schulübergreifend Eingang in andere Therapieansätze, vor allem in der Arbeit mit strukturell stärker beeinträchtigten Patient:nnen und Patienten.
Mit dieser Perspektive wird vorgeschlagen, dass Mentalisieren als ein maßgebliches Kommunikationssignal in sozialen Interaktionen zu sehen, um Vertrauen zu schaffen, und zweitens, dass epistemisches Misstrauen als gemeinsamer Entwicklungspfad verstanden werden kann, über den aversive Beziehungserfahrungen in der Vergangenheit ihren Einfluss auf psychosoziale Behandlungen ausüben können - sowohl als Disposition des:r Patient:in als auch als Merkmal der Begegnung zwischen Therapeutinnen und Patientinnen. Diese entwicklungspsychologische, interpersonelle Sicht auf die Stimulierung von epistemischem Vertrauen im Kontext von Psychotherapie eröffnet eine neue Perspektive auf die Rolle der therapeutischen Beziehung, insbesondere bei der Arbeit mit Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, bei denen die Fähigkeit, neue Informationen durch soziales Lernen zu verinnerlichen, durch das Fehlen von epistemischem Vertrauen untergraben wird.
Abschließend sollen einige klinische Implikationen dieser Ideen betrachtet werden, insbesondere die Aufgabe, die sich innerhalb der MBT und andere Therapieansätze stellt, Offenheit für epistemisches Vertrauen wiederherzustellen und die salutogenetischen Möglichkeiten, die diese Wiederherstellung bieten kann.


Tobias Nolte, Arzt und Psychoanalytiker (IPA), hat in Göttingen und Lyon Medizin studiert. Nach einem Masters in Psychodynamic Developmental Neuroscience ist er klinisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am University College London und Senior Researcher am Anna Freud National Centre for Children and Families, London. Er arbeitet als Psychoanalytiker in eigener Praxis und für die Camden Psychotherapy Unit sowie als Therapeut in Mentalisierungsbasierter Therapie an der Hallwick Unit, St Ann‘s Hospital. Zu seinen Forschungsinteressen zählen: Neurowissenschaftliche Ansätze zu sozialer Kognition, Erforschung und Behandlung von Persönlichkeitsstörungen und Mentalisierungsprozessen, epistemisches Vertrauen und frühe Eltern-Kind-Interaktionen sowie der Transfer mentalisierungstheoretischer Aspekte in pädagogische Felder (www.mentEd.de). Neben zahlreichen Peer-Review-Veröffentlichungen zeichnet er als Herausgeber verantwortlich für: Soziales Lernen, Beziehung und Mentalisieren (mit Holger Kirsch und Stephan Gingelmaier, Vandenhoeck & Ruprecht, 2022), Epistemisches Vertrauen (mit Peter Fonagy, Klett-Cotta, 2023) und Psychoanalysis in Conversation with the Humanities and the Arts (mit Ora Dresner und Rye Dag Holmboe, Routledge, 2023).

Referent

Arzt und Psychoanalytiker.Klinisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am University College London und Senior Researcher am Anna Freud National Centre for Children and Families, London. Psychoanalytiker in eigener Praxis und Supervisor für mentalisierungsbasierte Therapie.

Prof. Dr. Jürgen Wertheimer

Die Autosuggestionskraft des Vertrauens

Datum: Sonntag, 10. September, 08.30 Uhr
Teilnahmemöglichkeiten: Präsenz oder online

"Ein bisschen Vertrauen muss man schon haben. Nicht immer nur das Böse sehen.“ Max Frisch


Vertrauen war und ist der Kitt der Gesellschaft: Gottvertrauen und Urvertrauen stabilisieren Weltbilder und Wertewelten, Politiker sollten vertrauenswürdig sein, ebenso wie Ärzte, Lehrer, Väter, Mütter, Banker, Busfahrer – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen; ohne Vertrauen läuft nichts, auch wenn das Vertrauen immer wieder in Misstrauen umschlägt oder verraten wird. Warum klammern wir uns dennoch nahezu reflexartig und immer wieder an eine Kategorie, deren Labilität und Zerbrechlichkeit jeder von uns bereits erfahren hat?
Das Zitat aus Max Frischs Erfolgsstück "Biedermann und die Brandstifter“ (1958) gibt  e i n e  mögliche Erklärung: aus einer Mischung aus Trägheit und Feigheit heraus neigen wir selbst in Extremfällen dazu, uns mittels dem Sedativums „Vertrauen" autosuggestiv zu beruhigen oder beruhigen zu lassen.
Ein zweites Motiv kommt dazu: Wer Vertrauen schenkt, kann zwar enttäuscht werden aber er wird den Status der Unschuld immer bewahren, wird immer als moralischer Sieger vom Platz gehen und sich keinen Vorwürfen aussetzen  
Und schließlich: der Akt des Vertrauens entbindet uns von Verantwortung. Der Vertrauende muß weder kritisch nachfragen noch handeln und darf dennoch hoffen, als soziales Wesen gesehen zu werden. Drei Gründe, um den autosuggestiven Sog jedes Vertrauenspakts plausibel zu machen. Aber beileibe nicht alle. Max Frischs Biedermann Komplex kann uns helfen, noch tiefer in die Dialektik des Vertrauens einzudringen.


Jürgen Wertheimer, Prof. Dr. phil., ist ein deutscher Germanist und Komparatist. Er war Hochschullehrer für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Tübingen. Von 2017 bis 2020 leitete er das vom Bundesministerium der Verteidigung unterstützte „Projekt Cassandra. Krisenfrüherkennung durch Literaturauswertung“. Das Projekt kooperiert derzeit mit dem Weltethos-Institut Tübingen.
In seinen jüngsten Vorlesungsreihen beschäftigt er sich u. a. mit dem Exodus-Mythos, dem Phänomen literarischer Außenseiter (Hölderlin, Kleist, Kafka), Vertrauen als kulturellem Grundgefühl sowie europäischer Kulturgeschichte. Seit dem Jahr 2019 betreibt Jürgen Wertheimer gemeinsam mit der Theaterkritikerin Cornelie Ueding das Blog PPPlog – Perception, Perspektive, Performance.


Einige Buchpublikationen:
Sorry Cassandra! Warum wir unbelehrbar sind. Konkursbuch Verlag, Tübingen 2021.
Europa – eine Geschichte seiner Kulturen. Penguin, München 2020
Die Globalisierung der Wörter. Konkursbuch Verlag, Tübingen 2018.
Don Quijotes Erben. Die Kunst des europäischen Romans: Stationen des europäischen Romans. Konkursbuch Verlag, Tübingen 2013

Referent

Deutscher Germanist und Komparatist

Prof. Dr. Joachim Küchenhoff

Selbsttäuschung, Wahrhaftigkeit, Vertrauen – Zu drei Elementen (nicht nur) der Psychotherapie

Datum: Montag, 11. September, 08.30 Uhr
Teilnahmemöglichkeiten: Präsenz oder online

Die drei Begriffe des Titels sind miteinander komplex verbunden. Zur Wahrhaftigkeit, also der persönlichen Haltung, die eigene subjektive Wahrheit zu suchen und zu vertreten, gehört auch die Fähigkeit, sich selbst zu kritisieren und Selbsttäuschungen zu überprüfen. Nicht allein das Nachdenken über sich selbst leitet Selbstkritik an; sie wird in Beziehungen zur Bereitschaft, sich von anderen hinterfragen zu lassen oder Selbsttäuschungen im Zusammensein mit anderen aufzuheben. Die eigenen blinden Flecken zu sehen, braucht Selbstvertrauen, sich kritisieren zu lassen Vertrauen in andere. Wahrhaftigkeit schafft Vertrauen, Vertrauen ermöglicht Wahrhaftigkeit. Die Absicht, sich über sich aufzuklären, die Fähigkeit aufrichtig zu bleiben, und das Vertrauen in den Anderen sind wichtige Bestimmungsgrößen einer Psychotherapie, sie können freilich nicht vorausgesetzt, sondern müssen immer neu erarbeitet werden. Die Unfähigkeit oder der Unwille, die Möglichkeit einer Selbsttäuschung zuzulassen, und die Gleichsetzung von objektiver Wahrheit und subjektiver Wahrhaftigkeit können ihren Ursprung in mangelndem Vertrauen haben, sie zerstören ihrerseits Vertrauen. Der Vortrag untersucht die beschriebene Dynamik in therapeutischen und den gesellschaftlichen Beziehungen.


Joachim Küchenhoff, Professor Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker (DPV, SGPsa, IPA), Direktor der Erwachsenenpsychiatrie Basel- Land bis Juli 2018, seither in freier Praxis in Binningen bei Basel. Emeritierter Professor der Universität Basel, Gastprofessor der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin. Dort auch Vorsitzender des Aufsichtsrates. Wissenschaftlicher Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen, des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt und zahlreicher Fachzeitschriften.
Arbeitsschwerpunkte: Behandlung schwerer seelischer Störungen, Möglichkeiten und Grenzen psychischer Repräsentation, Körpererleben und Psychosomatik, interdisziplinäre Forschung in Kulturwissenschaften, Literaturwissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse.


Neueste Buchpublikationen: Vom Dringlichen und vom Grundsätzlichen. Psychoanalytische Gedanken zu existenziellen, gesellschaftspolitischen und erkenntnistheoretischen Fragen 2022; Psychotisches Erleben: Psychodynamik, Beziehungsdynamik, Behandlung 2023

Referent

Facharzt für Psychiatrie und für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Bis 2018 Direktor der Erwachsenenpsychiatrie der Psychiatrie Baselland in Liestal (Schweiz). Vorsitzender des Aufsichtsrates der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) in Berlin und dort auch Gastprofessor.

Website: www.praxis-kuechenhoff.ch

E-Mail: Joachim.Kuechenhoff@unibas.ch

Prof. Dr. Gary S. Schaal

Vertrauenskrisen in der deutschen Demokratie

Datum: Dienstag, 12. September, 08.30 Uhr
Teilnahmemöglichkeiten: Präsenz oder online

Kann die Demokratie in Deutschland die aktuelle(n) Vertrauenskrise(n) überstehen? Dies ist dem omnipräsenten Alarmismus zum Trotz ziemlich sicher. Doch in welcher Verfassung wird sie sich dann befinden? Zumal zweifelhaft ist, ob ein Ende der Vertrauenskrise(n) überhaupt identifiziert werden kann und die Krise(n) nicht zum „the new normal“ werden.
Warum die Sorge? Vertrauen ist in Demokratien nicht nur ein (weiteres) Gefühl, das die Bürger*innen den politischen Eliten entgegenbringen. Es erzeugt vielmehr demokratische Legitimität und ermöglicht effizientes Regieren. Mehr noch: politisches Vertrauen und die Stabilität einer Demokratie gehen Hand in Hand. Und haben viele von uns als Zeitzeug*innen nicht gerade das Gefühl, dass die soziale und politische Ordnung in Deutschland brüchig wird?
Die Ursachen der Vertrauenskrise(n) sind vielfältig: Feinde der Demokratie – sei es im Inneren oder von außen – wissen um die Bedeutung von Vertrauen und versuchen zunehmend erfolgreicher, seine Erosion zu beschleunigen. Doch auch in der Mitte der Gesellschaft, bei den Stützen der Demokratie, sind Vertrauensdefizite identifizierbar. Hier taucht die lange verdrängte Frage nach der wachsenden ökonomischen Ungleichheit in der Gesellschaft in Form einer vehementen Kritik an der Leistungsfähigkeit staatlicher (Sozial-)Politik wieder auf. Schließlich scheint auch die Digitalisierung, insbesondere die zunehmende Nutzung von Social Media Plattformen, Einfluss auf die Vertrauensentwicklung zu besitzen. Die politische Herausforderung besteht darin, dass Vertrauen zwar schnell zerstört, aber nur sehr langsam wieder aufgebaut werden kann. Der Vortrag skizziert ein Panorama der wichtigsten Ursachen der aktuellen Vertrauenskrise und wirft einen Blick auf die Demokratie in Deutschland in den nächsten fünf Jahren.  


Gary S. Schaal ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg. Er studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der FU Berlin und arbeitete anschließend an der FU Berlin, der TU Dresden sowie der Universität Stuttgart, anschließend war er Heisenbergstipendiat der DFG. Gary S. Schaal war Gastprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin sowie der Sciences Po Lille. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Politischen Theorie, der Emotions- sowie der empirischen Demokratie- und Digitalitätsforschung. Beginnend mit seiner 2004 erschienen Habilitationsschrift arbeitet er kontinuierlich an der Bedeutung von Vertrauen für moderne Demokratien.
Er ist Mitglied des Lenkungskreises der Digital Humanities Infrastruktur CLARIN-D, der Planungsgruppe »Digitalisierung und Demokratie« der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Berater des Bundesministeriums der Verteidigung im Bereich Maritime Sicherheit und Digitalisierung.


Ausgewählte Buchveröffentlichungen:
Politische Theorien der Gegenwart I-III, 4. Auflage, hrsg. mit André Brodocz, UTB, 2017
Politische Theorien der Moderne, 3. Auflage, mit Felix Heidenreich, UTB, 2017
Politik der Gefühle. Zur Bedeutung von Emotionen für die Demokratie, mit Felix Heidenreich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, APuZ 32–33/2013 http://www.bpb.de/apuz/165744/zur-rolle-von-emotionen-in-der-demokratie?

Referent

Politikwissenschaftler, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg

Jan Wetzel

Professionen unter Generalverdacht. Vertrauen und Kontrolle in der demokratischen Wissensgesellschaft

Datum: Mittwoch, 13. September, 08.30 Uhr
Teilnahmemöglichkeiten: Präsenz oder online

Ob Journalismus, Kirche oder Medizin – Bereiche professionellen Handelns sind heute unter verstärkter Beobachtung. Die eigentlich urdemokratische Tugend, Autoritäten zu hinterfragen, wird dabei bisweilen zu einer ‚wilden‘ Kritik, die durch Diskurs und demokratische Institutionen kaum mehr einzufangen ist. Wie lässt sich das erklären, und wie sollten Professionen darauf reagieren? Anhand des Begriffspaars von Vertrauen und Kontrolle stelle ich zunächst das gesellschaftliche Spannungsfeld dar, in das Professionen und ihre Expertise eingebettet sind. Im Anschluss zeichne ich gesellschaftliche Veränderungen nach, die den Hintergrund der erhitzten Debatten unserer Tage bilden. Dieser soziologische Zugang kann dabei helfen, die damit einhergehenden affektiven Verstrickungen zu lockern und zeitgemäße Antworten auf die Herausforderungen zu finden.


Jan Wetzel ist Soziologe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und der Technischen Universität Dresden. In der Vermächtnisstudie (zusammen mit DIE ZEIT und infas) setzte er sich mit den Wünschen und Zukunftsvorstellungen der Menschen in Deutschland auseinander. Zuvor arbeitete er als Autor für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk und betreibt den sozialwissenschaftlichen Podcast „Das Neue Berlin“.


Ausgewählte Buchveröffentlichungen:
mit Jutta Allmendinger: Die Vertrauensfrage. Berlin: Bibliographisches Institut 2020.
„Geliebt und gefürchtet. Vergangenheit und Zukunft staatlicher Autorität“. In: supervision 4.2022, S. 3–7.

Referent

Soziologe

E-Mail: jan.wetzel@wzb.eu