Plenarvorträge
Allgemeines
Die Teilnahme an den Plenarvorträgen steht allen Präsenzteilnehmern der Erfurter Psychotherapiewoche offen und ist durch die Grundgebühr abgedeckt. Es ist keine gesonderte Anmeldung erforderlich.
Für Online-Teilnehmer besteht die Möglichkeit, die Plenarvorträge separat zu buchen.
Die Plenarvorträge werden, wie auch der Abendvortrag und die durchlaufenden Vorlesungen, im Hybridmodus angeboten.
„Unlösbare“ Konflikte in der Psychotherapie und deren Befriedung
Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung (Alliance Ruptures) treten in jeder Psychotherapie auf und bergen ein hohes Risiko für Therapieabbrüche und schlechtere Therapieergebnisse. Gleichzeitig bieten sie eine große Chance. Wenn es uns als Therapeuten gelingt, trotz dieser oft herausfordernden Situationen in einen hilfreichen Dialog zu treten und die damit in Verbindung stehenden Motive und Bedürfnisse unserer Patienten zu verstehen, können die Spannungen und Krisen aufgelöst und eine neue Beziehungserfahrung vermittelt werden. Dies ist oft einfacher gesagt als getan. Therapeuten reagieren häufig selbst subtil feindselig, indem sie beispielsweise Äußerungen ignorieren, bagatellisieren oder ihre Patienten anklagen. Wir Therapeuten treten mit unseren eigenen früheren Beziehungserfahrungen, Vulnerabilitäten und unerfüllten Bedürfnissen in die Beziehung zu unseren Patienten. So werden auch unsere eigenen unvollständig gelösten Konflikte spürbar. Die Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung schlagen sich oft auch in der Supervisionsbeziehung nieder. Auch hier können sie als Chance genutzt werden. Im Vortrag werden Wege des Umgangs mit Spannungen und Krisen in der Therapie- und Supervisionsbeziehung vorgestellt. Dargelegt wird, wie es gelingen kann, Spannungen und Krisen achtsam wahrzunehmen und das Wahrgenommene in hilfreiche Worte zu fassen. Die besondere Bedeutung emotionaler Verbundenheit und einer authentischen, nicht-autoritären Haltung sowie einer Kultur der Akzeptanz und Neugier wird dargelegt. Ein spezielles Aus- und Weiterbildungsprogramm zur Verbesserung therapeutischer Kompetenzen im Umgang mit Spannungen und Krisen unter Einsatz von Videoaufzeichnungen, Rollenspielen und der Doppeltechnik wird vorgestellt.
Prof. Dr. Antje Gumz ist Professorin für Psychosomatik und Psychotherapie und Leiterin des Masterstudiengangs Psychodynamische Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Psychotherapieforschung und Psychotherapieausbildungsforschung. Wesentliche Themen: Messen und Trainieren therapeutischer Beziehungskompetenzen (Alliance Ruptures, Facilitative Interpersonal Skills, Umgang mit Übertragung/Gegenübertragung), Wirkfaktoren in Psychotherapien, Sprache und Stimme in Psychotherapien.
Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Fachartikel und Bücher (z.B. Psychodynamische Psychotherapie in der Praxis, Lehrbuch, Lehr-DVD) und Mitherausgeberin der Fachzeitschrift „Die Psychotherapie“.
Sie ist Psychoanalytikerin, Tiefenpsychologisch fundierte und Systemische Therapeutin und verfügt über Aus- und Weiterbildungen in einer Reihe weiterer Verfahren (z.B. Katathym-imaginative Therapie, Tiefenpsychologisch fundierte Psychodrama-, Analytische Körper-, Hypnose-, Gesprächspsychotherapie) und eine Ausbildung in Teamentwicklung, Organisationsberatung, Supervision und Coaching. Sie ist Lehrtherapeutin und Supervisorin an verschiedenen Weiterbildungsinstituten.
Professorin für Psychosomatik und Psychotherapie sowie Leiterin des Masterstudienganges Psychodynamische Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin, Psychoanalytikerin, systemische Therapeutin
E-Mail: a.gumz@phb.de
Zur Kraft des Streits
Der Streit steht im Ruf, Bindungen zu zerstören. In der Tat ist in jedem Streit, der diesen Namen verdient, das Potenzial der Vernichtung immer präsent. Das althochdeutsche Wort „strît“ bezeichnet den „Waffenkampf“, und noch in Begriffen wie „Wortgefecht“ ist die gewaltvolle Dimension aufgehoben. Wer streitet, will sein Gegenüber argumentativ niederringen, dabei kommen rhetorische Waffen wie die Polemik zum Einsatz, verbale Verletzungen sind (zumal in einer sensibilisierten Gesellschaft, deren Gewaltbegriff sich enorm erweitert hat) keineswegs ausgeschlossen. Doch ist dies nur die eine Seite. Im Vortrag soll der Gedanke entwickelt werden, dass Ordnungen, in denen nicht gestritten wird, von der Gefahr des Zerfalls gezeichnet sind. Das Ideal der Konsensfindung erzeugt einen Konformitätsdruck, der die kommunikative Realität der Unversöhnlichkeit negiert. Nur wo der Widerspruchsgeist lebendig ist, sind größere Einheiten möglich.
Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins sowie Gründerin und Co-Leiterin des neuen Berliner Philosophie Festivals Philo.live! Ihr jüngstes Buch „Streiten“ erschien im Herbst 2024 (Hanser Berlin).
Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins sowie Gründerin und Co-Leiterin des neuen Berliner Philosophie Festivals Philo.live!
Eine mikroökonomische Perspektive auf gewalttätige Konflikte und Frieden
Frieden ist, neben Gesundheit, eine Grundbedingung für menschliche Entwicklung. Jedoch scheint es unendlich schwieriger, Frieden und seine individuelle Erfahrung zu definieren, zu messen oder gar zu beeinflussen als dies für den Fall von (physischer) Gesundheit der Fall ist. Was nicht messbar ist, zählt aber oft nicht. Als Konsequenz wird die Rolle von Frieden für Entwicklung in der Ökonomie regelmäßig und systematisch missachtet, mit entscheidenden Folgen für die Analyse und Steuerung unserer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Systeme. Tatsächlich scheint der Unfrieden (bzw. gewalttätige politische Konflikte und institutionelle Fragilität) in der Welt derzeit zuzunehmen, trotz des immensen Reichtums, den die Welt zeitgleich erwirtschaftet. Noch nie hatten wir so viele Ressourcen zur Verfügung, um Menschen zu helfen; noch nie schien das Überleben der Menschheit trotzdem (oder deshalb?) in seiner Gesamtheit so gefährdet. Um zu versuchen, dieses Paradox aufzulösen, wird der Vortrag erläutern, welchen Erkenntnisgewinn eine mikroökonomische Perspektive auf gewalttätige Konflikte und Frieden leisten kann. Dazu werden eine Reihe von Konzepten und Begriffe definiert und anhand von empirischen Fallbeispielen (u.a. den Konflikten in der Ukraine und im Mittleren Osten sowie der COVID-19 Pandemie) erläutert. Dabei wird auch die Rolle von mentaler Gesundheit im ökonomischen Entwicklungsprozess diskutiert.
Tilman Brück ist Entwicklungsökonom und Friedensforscher. Er ist Professor für Wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit an der Humboldt-Universität zu Berlin, Arbeitsgruppenleiter am IGZ – Leibniz Institut für Gartenbauwissenschaften und Gründer und Direktor des gemeinnützigen ISDC – International Security and Development Center in Berlin. Zuvor war er Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI und Abteilungsleiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sowie Visiting Professor an der London School of Economics and Political Science (LSE). Sein Forschungsinteresse gilt dem Verhalten und der Ernährungssicherheit von armen Menschen in konfliktbetroffenen, fragilen und humanitären Notsituationen. Er untersucht auch, wie Politiken und Programme das Leben der Menschen und ihrer Wohlfahrt sowie den Frieden in solchen Situationen beeinflussen und wie man unter schwierigen Bedingungen Daten erheben und rigorose Analysen durchführen kann. Tilman Brück ist Mitbegründer und Co-Direktor des Households in Conflict Network, Leiter der Life in Kyrgyzstan Study und Mitbegründer der Global Young Academy. Er war Mitglieder der Jungen Akademie und 2009 – 2010 ihr Sprecher. Tilman Brück hat in Glasgow und Oxford Volkswirtschaftslehre studiert und an der Universität von Oxford in Volkswirtschaftslehre promoviert.
Wirtschaftswissenschaftler u.a. Entwicklungsökonomie, Konfliktforschung, Friedensforscher
„Anything goes“ trifft auf Romantikdiktat: Wie sich intime Beziehungen gesellschaftlich wandeln
Liebesgeschichten folgen seit Jahrhunderten einem Skript, das ungefähr gleich abläuft: Verliebt, verlobt, verheiratet – oder moderner: daten, crushen, verlieben, zusammenziehen, Kinder kriegen, Familie werden. Doch das intime Zusammenleben in Deutschland sieht mittlerweile anders aus: Seit Jahrzehnten sinkt die Anzahl an Heiratswilligen, zugleich steigt die Scheidungsrate, Ein-Personen- Haushalte nehmen stetig zu und alleinerziehende Mütter und Väter stemmen ihren Alltag mit Kindern. Senior*innen leben allein und vereinsamen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Datingportale – und dort tummeln sich Menschen mit den unterschiedlichsten Zielen.
Andrea Newerla blickt hinter die Glücksversprechen unserer Zeit, zeigt, was wir eigentlich suchen und warum unsere Beziehungskonzepte nicht wirklich so alternativlos sind, wie sie uns immer scheinen. Sie fragt, warum die romantische Zweierbeziehung bis heute der Garant für unser Bedürfnis nach Nähe und Liebe zu sein scheint, spürt den Entstehungsbedingungen vorherrschender Beziehungsbilder nach und erörtert, warum es so schwer ist, sich ihrer zu entledigen.
Andrea Newerla ist promovierte Soziologin und forschte zuletzt als Senior Scientist an der Paris Lodron Universität Salzburg. Aktuell arbeitet sie als Autorin, Beziehungsberaterin und veranstaltet Workshops rund um das Thema Beziehungen, Care und Community. Mit ihrer Arbeit eröffnet sie neue Perspektiven auf intime Beziehungen und bietet Grundlagen der Betrachtung sich wandelnder gesellschaftlicher Verbindlichkeiten und Beziehungen.
Weitere Infos: andrea-newerla.de
Soziologin, Autorin, Beziehungsberaterin
Wie psychotherapeutisches Arbeiten gesellschaftliche Polarisierung reduzieren und demokratische Intentionen befördern kann: Identifikationsbasierter, metakognitiver/kognitiv-mentalisierender Zweifel
Der gesellschaftliche Anstieg von politischer Polarisierung und daraus resultierender Konflikte scheint evident. Die Voraussetzung demokratischer, pluraler Gesellschaften hängt wiederum davon ab, dass alle Gruppen sich – trotz möglicher (gegenseitiger) Ablehnung – tolerieren und aktiv im politischen Sinne miteinander koalieren, kooperieren und Kompromisse bilden können. Diese demokratischen Verhaltensweisen (Respekt, Toleranz, Koalitions-, Kooperations-, und Kompromissbereitschaft) werden im Kontext der gesellschaftlich erfolgenden politischen Polarisierung zunehmend erschwert.
Psychotherapeutische Arbeiten verfolgen (unabhängig von ihrer Verfahrensprägung) das Befördern von Metakognition/Mentalisierungsfähigkeit und säen im Sinne dieser beiden Konzepte Zweifel.
In drei randomisiert-kontrollierten experimentellen Studien in politisch-polarisierten Gruppen (Liberale gegenüber Konservativen [Reininger et al., 2020]; Republikaner gegenüber LGBTIQ+ Personen [Reininger et al., 2024a]; Republikaner gegenüber Liberalen [Reininger et al., 2024b]) sowie in zwei Studien mit religiösen Gruppen (Muslime gegenüber Christen und Juden und umgekehrt [Moritz et al., 2019; 2021]) konnten wir mithilfe einer metakognitiven/kognitiv-mentalisierenden Intervention Polarisierung reduzieren und demokratische Intentionen steigern. Hierbei haben wir identifikationsbasierten, metakognitiven Zweifel adressiert.
Im Vortrag werden die Studien, aber vor allem die Bedeutung für die psychotherapeutische Arbeit mit Patientinnen und Patienten thematisiert.
Prof. Dr. rer. nat. Klaus Michael Reininger ist Professor für Psychotherapieforschung an der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg. Dort leitet er die psychodynamische Ausbildung und Ambulanz des Instituts für Psychotherapie mit über 300 Ausbildungsteilnehmenden. Professor Reininger wurde an der Universität Hamburg promoviert, war zwei Jahre PostDoc in der Sozial- und Politischen Psychologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel tätig. 2017 wurde ihm der zweite Platz des deutschen Studienpreises der Körber-Stiftung und 2024 der große Förderpreis der Stiftung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung zuerkannt.
Professor für Psychotherapieforschung an der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg, Psychologischer Psychotherapeut